Baugenossenschaften in der
Weimarer Republik
Dieser Eintrag stammt von Pia Rosenthal
Hamburg war zur Zeit nach dem 1. Weltkrieg eine Stadt, die viel Arbeit bot, da sie einen großen Hafen besaß.
Hamburg war zur Nachkriegszeit (nach dem 1. Weltkrieg) eine Stadt mit einer sehr geringen Arbeitslosenzahl. Es kamen sogar Arbeiter aus dem Umland nach Hamburg, weil es hier eine große Anzahl von Arbeitsplätzen gab, nämlich im Hamburger Hafen. Viele Männer, die im Krieg als Soldaten gedient hatten, kamen jetzt nach Hause zurück und konnten oft ihrer gelernten Arbeit nicht mehr nachgehen. Da sie jedoch ihre Familie versorgen und die Miete zahlen mussten, suchten sie sich einen Job, der keine "Lernzeit" benötigte.
Deshalb zog der Hamburger Hafen viele Menschen an, die dort gerne arbeiten und in der Nähewohnen wollten. Spätestens hier fingen die Probleme an: Hamburg konnte nicht alle Arbeiter unterbringen, schon gar nicht alle in der Nähe des Hafens. So wurden Häuserblocks gebaut, die aus heutiger Sicht menschenunwürdig waren. Sie beherbergten jedoch viele Menschen und waren billig zu bauen. Zu der Zeit störte es keinen (außer die Bewohner selbst), dass eine Familie mit z. B. fünf Kindern in zwei Zimmern zusammenlebte. Noch dazu ohne Toilette und fließend Wasser. Nicht einmal Licht kam in die dunklen Wohnungen hinein, in denen neben den Menschen auch viele Krankheitserreger hausten.
Auch waren die Straßensysteme in Hamburg hoffnungslos überlastet. In einem Artikel (Aufruf) - erschienen im "Hamburger Echo" am 21. Januar 1922 - forderten die Gewerkschaften die Hamburger auf, Genossenschaften zu gründen, welche auf Staats- und Privatgrund hunderte von 2-, 3- und 4-Zimmer-Wohnungen bauen wollten. Die Mitglieder der Baugenossenschaft sollten für jeden Quadratmeter Wohnfläche, den sie ersteigern, 50 DM bezahlen. Der Ruf an die Menschen: "Beteiligt Euch am Unternehmen! Erfahrungen sind genug gesammelt. Wir schreiten zur Tat!"
Es war ein Aufruf, der die Bevölkerung auf ihre schlechte wohnliche Lage aufmerksam machen sollte. Es meldeten sich viele Menschen, die bereit waren, in eine neue Baugenossenschaft einzutreten. Hamburger Gewerkschaften und die "Bauhütte Nord" begannen nach der erfolgreichen Werbung für Genossenschaften sofort mit den Vorbereitungen. Mitarbeiter wurden als Starthelfer geschickt. Es waren geschulte Gewerkschaftler und Fachleute aus dem Bauwesen, die am 24. Februar 1922 die "Genossenschaft freier Gewerkschafter" gründete. Die Geschäftsstelle befand sich in der Wohnung eines der Gründer (Wilhelm Fritsch). Das Ziel dieser Baugenossenschaft war der Erwerb gesunder, zweckmäßig eingerichteter Wohnungen zu angemessenen Preisen. Auch minderbemittelte Familien sollten das Recht haben, in menschenwürdigen, sauberen Wohnungen zu leben. Bevor eine Wohnung jedoch bewohnt werden durfte, musste der Mieter einen gewissen Anteil der Baugenossenschaft erwerben, der mit der Quadratmeterzahl der Wohnung in Verbindung stand. Eine weitere Bedingung, die es zu erfüllen gab, bevor man in die Baugenossenschaft aufgenommen wurde, war: " Ferner müssen Sie einem Berufsverband angehören, der dem "Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund" oder dem "Allgemeinen Deutschen Angestelltenbund" angeschlossen ist."
Zusammen mit der "Baugenossenschaft Barrnbek" wurde der Bau eines Wohnblocks in Barmbek begonnen. Schließlich mussten die nunmehr 800 Mitglieder (!), die jetzt schon auf eine Wohnung warteten, irgendwo untergebracht werden. Da der Bau im Jahre 1923 begonnen wurde, musste er jedoch schon bald wieder eingestellt werden. Die Inflation behinderte den Bau zu stark. Man konnte für Papiergeld keine Materialien mehr bekommen. Im November 1923 (Ende der Inflation) hatte eine Billion Mark (1.000 000 000 000) den Wert von einer Goldmark. Für 4,20 Goldmark konnte man einen Dollar eintauschen.
Nach dieser schweren Wirtschaftskrise normalisierten sich die Preise wieder und der Wohnblock in Barmbek konnte fertiggestellt werden.
Nach diesem sichtbaren Erfolg der Baugenossenschaft ging es mit der Planung weiterer Gebäude weiter. Schließlich warteten noch einige auf ein Dach über dem Kopf In für heute unvorstellbar kurzer Zeit wurden große Bauten bewältigt und dies alles ehrenamtlich. Die Vorsitzenden und auch die Arbeiter gingen ihrer normalen Arbeit nach und erledigten den Bau großer Wohnblocks einfach nebenbei.
Der Staat Hamburg förderte den Bau "richtiger" Kleinwohnungen. Das Geld, was er für den Bau benötigte, nahm er aus den Hauszinssteuern. Während der Inflation wurden die Großgrund- und Althausbesitzer sehr stark bevorzugt, von daher hob der Hamburger Staat die Hauszinssteuer so hoch an, dass er das Bauvorhaben der Genossenschaft unterstützen konnte und die Althausbesitzer trotzdem noch gut leben konnten. Da die meisten Arbeitsplätze immer noch im Hafen lagen und die Wohnungen der Arbeiter in der Nähe der Arbeitsstelle sein sollten, hatte sich die Baugenossenschaft den Bereich Rothenburgsort/Veddel ausgeguckt, da dort noch viel freies Bauland zur Verfügung stand. Es gab nur ein Problem, den hohen Grundwasserstand. Er erforderte eine komplizierte Pfahlrahmung für Geschossbau. Nach langen Beratungen engagierte die Baugenossenschaft den damals bekannten Architekten F. R. Ostermeyer. Er sollte einen Häuserblock für das Gelände Marckmannstraße/Freihafenstraße und II. Billhorner Kanalstraße entwerfen. Die Arbeiten, die er später ablieferte, wurden zu den besten der damaligen Zeit gezählt.
Hinzu kam noch, dass sie fast in einer Rekordzeit gebaut wurden, wenn man bedenkt, dass damals noch alles per Muskelkraft bewältigt wurde. Die Ausschachtungen z. B. wurden von Arbeitern durchgeführt. Die Arbeit, die heutzutage große Baggerschaufeln erledigen, wurden vor fast 80 Jahren ausschließlich von Arbeitern verrichtet.
Eine Grube wurde beispielsweise mit ganz normalen Schaufeln gegraben. Der Sand wurde dann zum Abtransport auf Pferdefuhrwerke geladen. Nach dem Bau der "Ostermeyerhäuser" begannen auch andere Baugenossenschaften ähnliche Wohnanlagen zu errichten.
Im Gegensatz zu dem neu gebauten Häuserblock in der Marckmannstraße waren die Wohnverhältnisse in den Gängevierteln erschreckend. Die Menschen lebten in Fachwerkhäusern, die zwar von außen teilweise ganz romantisch aussahen, innen jedoch schmutzig, klein und voller Krankheitskeime steckte. Eine Wohnung bestand meist aus einem Zimmer, in welchem sich Küche, Wohn- und Schlafraum befanden.
Die Familie lebte also mit mehreren Kindern in einem Zimmer von ein paar Quadratmetern. Die Wohnungen im Gängeviertel existierten bis in die 30er Jahre. Bei Sanierungsarbeiten der Hamburger Genossenschaft wurden die Häuser abgerissen, es entstanden menschenwürdige Wohnungen. Ein Teil des damaligen Gängeviertels steht noch heute. In der Nähe des Michels kann man noch einige dieser damaligen "Wohnungen" besichtigen.
In den entstandenen Wohnblocks gab es eine Art von Zusammenleben, welches wir heute gar nicht mehr kennen. Es konnte auch schon fast als eine "Wohngenossenschaft" bezeichnet werden. In jedem Block gab es einen gewählten Obmann, der bei Unstimmigkeiten der Mieter als Schlichter zur Verfügung stand. Auch kümmerte er sich um andere kleine Dinge, die anfielen. Er tat dies jedoch alles ehrenamtlich. Neben dem Obmann gab es auch noch den Blockobmann, der für alles zuständig war, was nicht in den Bereich des Obmanns fiel. Eine seiner Aufgaben war es, die monatliche Miete des ganzen Wohnblocks einzukassieren. Er war praktisch der "Hausmeistergehilfe", der Glühbirnen ausgab, wenn im Flur das Licht ausfiel, oder Farbe zur Verfügung stellte, wenn eine Treppe neu gestrichen werden musste.
Die Gemeinschaft der Mieter war zu dieser Zeit sehr stark. Wahrscheinlich u. a. aus dem Grund, weil sie alle gerade die schmerzhaften Folgen eines schweren Weltkrieges durchgestanden hatten und wussten, wie schlimm Leiden sein kann. Die Hungersnot der Wirtschaftskrise war überstanden und es waren einfach alle froh, dass es ihnen besser ging und eine andere Zeit angebrochen war. Ein weiterer Grund für Freude war auch der verbesserte Lebensstandard. Die kleinen, dunklen und schmutzigen Wohnungen im Gängeviertel waren Vergangenheit. Das Leben hatte sich auf einen Schlag verbessert. Nicht nur, dass die Häuser von außen hübsch und gepflegt aussahen, sie hatten im Inneren sogar Platz für einen großen Hof. Die Hälfte eines solchen Hofes war mit Rasen und Blumen bepflanzt, die andere Hälfte wurde für die Kinder zum Spielen aufbereitet. In den früheren Wohnungen hatten sie kaum genug Platz zum Schlafen, an das Spielen zwischen und in den Häusern war gar nicht zu denken gewesen.
Ein gutes Beispiel für die beschriebene Gemeinschaft war ein Häuserblock der "Ostermeyerhäuser", in dem die Bewohner sogar beschlossen, sich zusammen eine Kaltmangel anzuschaffen. Diese bauten sie auf ein Podest im Treppenhaus auf. Der Raum war abschließbar und jeder hatte einen Schlüssel.
So war es den Bewohnern der Genossenschaftswohnungen schon damals möglich, Sonderwünsche bezüglich ihrer Wohnkultur zu äußern, wovon hingegen die Menschen in den Gängevierteln nur träumen konnten.
Die vorangegangenen Ausführungen können nur ein Schlaglicht auf die Bewältigung der Wohnungsnot und die Schaffung von menschenwürdigem Wohnraum nach dem ersten Weltkrieg werfen.
Es bedurfte schon eingespielter Organisationen, in diesem Fall der damalige Deutsche Gewerkschaftsbund, des Freien Angestelltenbundes und des Bauhüttenverbandes-Nord, um auch auf dem Gebiet der menschenwürdigen und ausreichenden Wohnraumversorgung tätig zu werden. Ihre Pionierleistungen aus den Anfängen reichen bis in unsere heutige Zeit hinein. Und für" Otto Normalverbraucher" ist es immer noch erstrebenswert, eine preisgünstige und nicht dem Gewinnstreben unterlegene Wohnung in einer Genossenschaft zu mieten.